Somatic Experiencing®

Was ist Somatic Experiencing®?

Es wurde von Dr. Peter A. Levine ent­wi­ckelt, als er als Wis­sen­schaft­ler die Aus­wir­kun­gen von gehäuf­tem Stress auf das Ner­ven­sys­tem erforschte.

Er stellte fest, dass frei lebende Beu­te­tiere, die nur knapp dem Tod ent­ron­nen waren, einen phy­sio­lo­gi­schen Pro­zess durch­lie­fen, in dem sie sich über Schüt­teln, Zit­tern und spon­ta­nes Atmen wieder regenerierten.

So kam Peter Levine zu der Über­zeu­gung, dass die meis­ten Orga­nis­men über eine ange­bo­rene Fähig­keit ver­fü­gen, sich von bedroh­li­chen und stress­rei­chen Ereig­nis­sen wieder zu erho­len – und dass eine Hei­lungs­me­thode nur erfolg­reich sein kann, wenn sie darauf beruht, eine Ver­bin­dung zum Körper herzustellen.

Auch der mensch­li­che Orga­nis­mus hat die Fähig­keit, im Körper gespei­cher­ten trau­ma­ti­schen Stress wieder zu ent­la­den. Diese bio­lo­gi­sche Tat­sa­che nutzt der kör­per­ori­en­tierte Ansatz von Soma­tic Experiencing.

Das Haupt­au­gen­merk liegt auf der Erfor­schung der Fra­ge­stel­lung, wie es uns gelingt

  • die Selbst­re­gu­la­tion des Kör­pers zu mobi­li­sie­ren und die Selbst­re­gu­lie­rungs­kräfte des Ner­ven­sys­tems zu stär­ken1Regu­la­tion bezieht sich nicht nur auf die Phy­sio­lo­gie des vege­ta­ti­ven Ner­ven­sys­tems, son­dern auch auf die emo­tio­nale Steue­rung der Affekte. Man ver­steht dar­un­ter die Fähig­keit, den eige­nen emo­tio­na­len Zustand zu steu­ern und sich in Zeiten stär­ke­rer Emo­tio­na­li­tät – dh. bei Angst, Trau­rig­keit, Wut oder Frus­tra­tion – wieder zu beru­hi­gen. (Kathy L. Kain & Ste­phen J. Terrell)
  • chro­ni­schen trau­ma­ti­schen Stress in uns zu ver­ar­bei­ten und
  • uns so von kör­per­li­chen und psy­chi­schen Sym­pto­men zu befreien.

Ziele der Arbeit mit Somatic Experiencing®

  • Soma­ti­sche Acht­sam­keit: Kör­per­emp­fin­dun­gen und ‑signale wahr­neh­men können
  • Ent­wick­lung eines Kör­per­ge­fühls hin zu mehr Sicher­heit und Präsenz
  • Kleine Inseln der Selbst­re­gu­la­tion finden
  • Wahr­neh­mung von kör­per­li­chen, per­sön­li­chen, ener­ge­ti­schen und zwi­schen­mensch­li­chen Grenzen
  • Res­sour­cen­er­fah­rung im Hier und Jetzt
  • Ent­de­ckung und Aus­wei­tung von Wahl­mög­lich­kei­ten = Selbst­er­mäch­ti­gung, Selbst­be­stim­mung, Erfah­rung von „ich kann“
  • Ent­wick­lung neu­ro­na­ler Schalt­kreise för­dern, die zu mehr Ver­bun­den­heit und Sta­bi­li­tät beitragen
  • Ver­mit­teln und Unter­stüt­zen von Con­tain­ment2Gehal­ten­sein, sicher­heits­ge­ben­der Rahmen.
  • Alte Reiz-/Reaktionsmuster auf­lö­sen: neue Erfah­run­gen im Hier und Jetzt, Ver­an­kern der Inte­gra­tion im Körper
  • Ver­voll­stän­di­gung von unter­bro­che­nen Impulsen
  • Aus der per­ma­nen­ten inne­ren Alarm­be­reit­schaft wieder in einen Zustand der Ent­span­nung finden können

Im Fokus einer SE-Sitzung stehen zunächst einmal Ihre Res­sour­cen, also Ihre inne­ren Kraft­quel­len, Erfah­run­gen von Sicher­heit. Diese gilt es zu akti­vie­ren, zu ver­tie­fen und auszuweiten.

Erst im Kon­takt mit dieser Kraft kann Ihr Ner­ven­sys­tem begin­nen, sich neu zu regu­lie­ren und fest­ge­hal­tene chro­ni­sche Anspan­nung loszulassen.

Ressource Natur

Wie sieht das konkrete Vorgehen in einer SE-Sitzung aus?

Wir arbei­ten in der Regel sit­zend, manch­mal im Stehen oder gehend. Bis­wei­len benut­zen wir Hilfs­mit­tel wie z.B. Bälle, Pols­ter, Seile u.a.

Es ist nicht unbe­dingt not­wen­dig, über das trau­ma­ti­sche Erleb­nis zu sprechen.

Ein beson­de­res Augen­merk liegt jeweils auf der Wahr­neh­mung von Kör­per­emp­fin­dun­gen und ‑impul­sen, inne­ren Bil­dern, Emo­tio­nen und Gedanken.

Dabei begleite und unter­stütze ich Sie im Gespräch, mit Berüh­rung oder in Bewegung:

  • Ver­lang­sa­men eröff­net die Gele­gen­heit, bei einer Erfah­rung (einem Bild, einem Impuls, einer Emo­tion) zu verweilen
  • So erhält das Ner­ven­sys­tem beim Auf­tau­chen von Stress genü­gend Zeit, einen Teil der dabei mobi­li­sier­ten Ener­gie zu entladen
  • Wir pen­deln in klei­nen Schrit­ten zwi­schen traumatischem/unangenehmem Erle­ben und hilf­rei­chen Res­sour­cen = wir bewe­gen uns zwi­schen Wohl­füh­len und Stress­mo­ment hin und her.
  • Modu­la­tion, Bewe­gung und lang­same Aus­deh­nung sind auf diese Weise mög­lich, neue neu­ro­nale Ver­bin­dun­gen werden geschaffen.
  • Wir bear­bei­ten kleine Ein­hei­ten nach­ein­an­der in einer für Sie ange­mes­se­nen Schritt­größe und nehmen uns immer wieder Zeit für Orientierung.
  • Mit­ein­an­der erkun­den und neu­gie­rig blei­ben sind hilf­rei­che Prinzipien.
  • Mit Erläu­te­run­gen und Psy­cho­edu­ka­tion3Aufklärung/Information zu psy­cho­lo­gi­schen Themen, z.B. was aus­ge­wählte Schritte/Maßnahmen bewir­ken können und warum wir auf diese Weise vor­ge­hen helfe ich Ihnen zu ver­ste­hen, wie Sym­ptome und trau­ma­ti­sche Erleb­nisse zusam­men­hän­gen können.

Das autonome Nervensystem und der Umgang mit traumatischen Stressreaktionen

Soma­tic Expe­ri­en­cing® arbei­tet vor allem mit der kör­per­li­chen Reak­tion auf trau­ma­ti­sche Ereig­nisse. In diesem Zusam­men­hang kommt dem auto­no­men Ner­ven­sys­tem eine beson­dere Bedeu­tung zu.

Das auto­nome Ner­ven­sys­tem ist ein Teil unse­res peri­phe­ren4 Peri­phe­res Ner­ven­sys­tem: Die­je­ni­gen Nerven, die Gehirn und Rücken­mark mit den ande­ren Teilen des Kör­pers ver­bin­den, ins­be­son­dere mit den Sin­nes­re­zep­to­ren, den Mus­keln und Drüsen  Ner­ven­sys­tems und arbei­tet rund um die Uhr. Es über­wacht grund­le­gende Lebens­funk­tio­nen, die wir nicht bewusst kon­trol­lie­ren, wie Atmung, Herz­schlag, Ver­dau­ung und Erregungsniveau.

Es ist in ein sym­pa­thi­sches und ein para­sym­pa­thi­sches Ner­ven­sys­tem unter­teilt. Diese Teile arbei­ten gegen­sätz­lich, um ihre Auf­ga­ben zu erfüllen.

Das sym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem ist mit dem Mobi­li­sie­ren von Ener­gie befasst und hilft uns immer, wenn es um Leis­tung und Anstren­gung geht. Es erhöht die Akti­vi­tät in Zeiten von Stress und Erre­gung und regt in einer Not­fall­si­tua­tion die Hirn­struk­tu­ren für Kampf oder Flucht an.

Das para­sym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem über­wacht die Rou­ti­ne­funk­tio­nen des Kör­pers. Es spielt eine wich­tige Rolle bei Erholungs- und Ent­span­nungs­vor­gän­gen. Nach über­stan­de­ner Gefah­ren­si­tua­tion hilft es dem Körper, sich wieder zu beru­hi­gen und zu regenerieren.

Wenn das sym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem extrem stark akti­viert wird, dann fun­giert das para­sym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem auch als Not­bremse, die alle kör­per­li­chen Pro­zesse dra­ma­tisch ver­lang­samt, was zu einer Erstar­rungs­re­ak­tion führt. Auch wenn Kampf oder Flucht miss­lin­gen oder aus ande­ren Grün­den nicht mög­lich sind, führt das zu einer Erstarrungs-/Unterwerfungsreaktion.

Ange­sichts einer lebens­be­droh­li­chen Gefahr wird eine große Menge an Ener­gie akti­viert, um sich gegen die Bedro­hung zu ver­tei­di­gen oder zu flie­hen. Wenn die Ver­tei­di­gungs­re­ak­tio­nen erfolg­reich abge­schlos­sen werden konn­ten und die Gefahr als vorbei erlebt wird, über­nimmt das para­sym­pa­thi­sche Ner­ven­sys­tem seine Funk­tion, die Erre­gung des sym­pa­thi­schen Ner­ven­sys­tems abzu­bauen und aufzulösen. 

Wenn wir die in einer bedroh­li­chen Situa­tion mobi­li­sierte Ener­gie nicht ent­la­den können, bleibt sie im Ner­ven­sys­tem gebun­den und kann viel­fäl­tige Sym­ptome ver­ur­sa­chen. Nur wenn es dem Men­schen gelingt, die bio­lo­gi­schen Pro­zesse des Stress­ab­baus wirk­lich abzu­schlie­ßen, kann sich das Ner­ven­sys­tem erholen.

Ein Trauma kann so eine chro­ni­sche Über­er­re­gung des sym­pa­thi­schen Ner­ven­sys­tems ver­ur­sa­chen, was die Phy­sio­lo­gie reagie­ren lässt, als sei die Bedro­hung stän­dig gegen­wär­tig. Das Ner­ven­sys­tem bleibt im Alarm­zu­stand ste­cken, und Men­schen fühlen sich gefan­gen in Kampf- oder Flucht­ver­hal­ten.
Es kann auch dazu führen, dass die auto­nome „Not­bremse“ des para­sym­pa­thi­schen Ner­ven­sys­tems ein­ge­schal­tet bleibt, was zu Dis­so­zia­tion, Depres­sion, Kon­zen­tra­ti­ons­schwie­rig­kei­ten, Gefühl­lo­sig­keit und Rück­zug führen kann.

Mögliche Symptome

Sym­ptome, die im Zusam­men­hang mit trau­ma­ti­schem Erle­ben auf­tau­chen können

 

  • Kopf‑, Nacken- und Rücken­schmer­zen, Migräne, Ver­dau­ungs­pro­bleme, Asthma, Haut­be­schwer­den, Pro­bleme mit der Schild­drüse oder dem Immun­sys­tem, Burnout
  • Ängste, Pho­bien, Panik­at­ta­cken, Depres­sion, Chro­ni­sche Bezie­hungs­kon­flikte und Bezie­hungs­un­fä­hig­keit, Selbst­wert­pro­bleme, Sozia­ler Rückzug
  • Sucht­ver­hal­ten, Selbst­ver­let­zun­gen, Scham und man­geln­des Selbstwertgefühl
  • Schlaf­stö­run­gen, Erschöp­fung, chro­ni­sche Schmer­zen, Fibro­my­al­gie, geringe Stress­to­le­ranz, extreme Licht- und Geräuschempfindlichkeit/Überempfindlichkeit gegen­über Sinneseindrücken
  • Gefühle von Ent­frem­dung, Dissoziation
  • Sich von gefähr­li­chen Situa­tio­nen ange­zo­gen fühlen, Über­ak­ti­vi­tät, unkon­trol­lier­bare Wutausbrüche
  •  Flash­backs, Intru­sio­nen, Halluzinationen

Lite­ra­tur

Levine, Peter A.: Trauma und Gedächt­nis. Die Spuren unse­rer Erin­ne­rung in Körper und Gehirn. Wie wir trau­ma­ti­sche Erfah­run­gen ver­ste­hen und ver­ar­bei­ten. Kösel-Verlag, Mün­chen, 2016.

Levine, Peter A.: Vom Trauma befreien. Wie Sie see­li­sche und kör­per­li­che Blo­cka­den lösen. Kösel-Verlag, Mün­chen, 2007

Levine, Peter A.: Spra­che ohne Worte. Wie unser Körper Trauma ver­ar­bei­tet und uns in die innere Balance zurück­führt. Kösel-Verlag, Mün­chen, 2011

Kain, Kathy L. & Ter­rell, Ste­phen J. : Bin­dung, Regu­la­tion und Resi­li­enz. Kör­per­ori­en­tierte The­ra­pie des Ent­wick­lungs­trau­mas. Jung­fer­mann Verlag, 2020.