Alles schmerzt sich einmal durch bis auf den eignen Grund
und die Angst vergeht 

Schön die Scheune, die nach längst ver­gang­nen Ernten
leer am Weg­rand steht
Jan Skácel

Trauma und mögliche Folgen

Was ist ein Trauma?

Das Wort Trauma kommt aus dem Grie­chi­schen und bedeu­tet Wunde. Es bezeich­net eine „starke psy­chi­sche Erschüt­te­rung, die (im Unter­be­wusst­sein) noch lange wirk­sam ist“ (Duden).

Ein Trauma ist ein Ereig­nis, das uns in seiner Wucht über­for­dert und über­wäl­tigt.
Erleb­nisse können sich trau­ma­tisch aus­wir­ken, wenn sie uns zu schnell, zu plötz­lich und gewalt­sam wider­fah­ren und uns hilf­los, ängst­lich und ohn­mäch­tig zurücklassen.

Dazu gehö­ren Natur­ka­ta­stro­phen, Krieg, Flucht und Ver­trei­bung, Über­fälle, kör­per­li­che, see­li­sche und sexu­elle Gewalt, der plötz­li­che Tod eines nahe ste­hen­den gelieb­ten Men­schen. Auch Ope­ra­tio­nen, Unfälle oder medi­zi­ni­sche Ein­griffe können als trau­ma­tisch emp­fun­den werden.

Als Kind sind wir beson­ders sen­si­bel und ver­letzt­lich. Abtrei­bungs­ver­su­che, Adop­tion, Ver­nach­läs­si­gung und Kon­takt­lo­sig­keit, der Tod eines Eltern­teils sowie natür­lich das Erle­ben von Gewalt inner­halb der Fami­lie können Trau­ma­spu­ren in Gehirn und Körper hinterlassen.

Es gibt Schockt­rauma und Ent­wick­lungs­trauma (oder in Kom­bi­na­tion). Bei einem Ent­wick­lungs­trauma spielt das Kon­zept der Bin­dung eine wich­tige Rolle (siehe auch Bin­dung, Liebe und Iden­ti­tät).

Trauma und Erinnerung

Eine Cha­rak­te­ris­tik trau­ma­ti­scher Erfah­run­gen ist, dass sie abge­spal­ten wurden oder nur frag­men­tiert erin­nert werden. Durch die Wucht dessen, was wir erlebt haben, wird unsere Fähig­keit der zusam­men­hän­gen­den Erin­ne­rung beein­träch­tigt oder außer Kraft gesetzt. Die Berei­che im Gehirn, die für ver­bale Erin­ne­run­gen zustän­dig sind, für das Erzäh­len einer Geschichte von Anfang bis Ende, schal­ten ab.

Trau­ma­ti­sche Ereig­nisse können daher meist nicht als chro­no­lo­gi­sches Erleb­nis in unser ganz­heit­li­ches Erle­ben inte­griert werden. Viel­mehr bestehen sie oft nur in Form sen­so­ri­scher oder emo­tio­na­ler Erin­ne­run­gen fort und sind im impli­zi­ten Gedächt­nis1Impli­zite Erin­ne­run­gen sind dem Bewus­stein nicht zugäng­li­che Gedächt­nis­in­halte, die sich nicht nicht gezielt abru­fen lassen, sie tau­chen viel­mehr in Form von Kör­per­emp­fin­dun­gen, Emo­tio­nen und Ver­hal­tens­wei­sen auf. gespei­chert, zu dem wir auf kogni­ti­vem Weg keinen Zugang haben.

Trauma und mögliche Folgen

Men­schen reagie­ren unter­schied­lich auf Trauma, viele Fak­to­ren spie­len dabei eine Rolle.

Eine Gemein­sam­keit ist der Ver­lust der Ver­bin­dung zu uns selbst, zu unse­rem Körper, zu ande­ren Men­schen, zu der uns umge­ben­den Welt. Dieser Ver­lust der Ver­bin­dung ist oft schwer zu erken­nen, weil er nicht mit einem Mal pas­siert – er kann sich lang­sam und all­mäh­lich ein­stel­len. Mit­un­ter passen wir uns an diese sub­ti­len Ver­än­de­run­gen an, ohne sie über­haupt zu bemerken.

Womög­lich schrän­ken sich unsere Wahl­mög­lich­kei­ten ein, weil wir bestimmte Gefühle, Men­schen, Situa­tio­nen und Orte meiden.

Trigger-Situationen, also Situa­tio­nen, die das Trauma reak­ti­vie­ren, können uns unver­mu­tet aus der Fas­sung brin­gen und unter Umstän­den starke emo­tio­nale und/oder kör­per­li­che Zustände her­vor­ru­fen 2Bei­spiels­weise Schwit­zen, Frie­ren, Zit­tern; star­kes Herz­klop­fen oder Herz­ra­sen, Ängste, Übel­keit, Ori­en­tie­rungs­lo­sig­keit, Schwin­del, drin­gen­der Impuls davon­zu­lau­fen, Taub­heit, Nebel, Erstar­rung.

Nach einer trau­ma­ti­schen Erfah­rung können uner­klär­li­che psy­chi­sche und phy­si­sche Sym­ptome ent­ste­hen, die sich even­tu­ell erst Jahre später zeigen.

Trau­ma­ti­sche Erleb­nisse ver­hin­dern außer­dem eine wil­lent­li­che Beein­flus­sung unse­rer Reak­tion. So kann ein sub­jek­tiv gepräg­tes und ver­zerr­tes Bild der Rea­li­tät und unse­rer Iden­ti­tät entstehen.

Meer und Strand im Gegenlicht dunkel

Meiner Erfah­rung nach erfolgt eine Trau­ma­ti­sie­rung, wenn unsere Fähig­keit mit einer als bedroh­lich wahr­ge­nom­me­nen Situa­tion umzu­ge­hen, auf irgend­eine Weise über­las­tet ist.
Peter Levine

Trau­ma­ti­sche Erleb­nisse sind etwas Beson­de­res, nicht, weil sie so selten vor­kom­men, son­dern weil sie die nor­male mensch­li­che Anpas­sung ans Leben über­wäl­ti­gen […] der gemein­same Nenner aller Trau­mata ist ein Gefühl von inten­si­ver Angst, Hilf­lo­sig­keit, Kon­troll­ver­lust und dro­hen­den Todes.
Judith Herman

Bewältigungsstrategien

Nor­ma­ler­weise haben wir gewisse Stra­te­gien aus­ge­bil­det, mit denen wir ver­sucht haben, eine trau­ma­ti­sche Situa­tion zu bewäl­ti­gen. Prof. Franz Rup­pert und Janina Fisher nennen diese Über­le­bens­stra­te­gien, was deut­lich macht, dass sie in vielen Fällen tat­säch­lich das Über­le­ben gesi­chert haben.

Ich wähle den Begriff Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien, da er unsere Fähig­keit her­vor­hebt, damit etwas bewäl­tigt zu haben – im Sinne von bewerk­stel­ligt und geschafft im Rahmen unse­rer dama­li­gen Möglichkeiten.

Solche Stra­te­gien sind viel­fäl­tig und können sehr »krea­tiv« sein.
Sie helfen, Erin­ne­run­gen an das Trauma zu ver­mei­den, zu ver­drän­gen, zu leug­nen oder zu baga­tel­li­sie­ren. 6Überlebens- oder Bewäl­ti­gungs­stra­te­gien zeigen sich z.B. in Form von Per­fek­tio­nis­mus und einem aus­ge­präg­ten inne­ren Kri­ti­ker, dem Ver­such fort­wäh­rend Kon­trolle aus­zu­üben; Aktio­nis­mus und per­ma­nen­ter Ablen­kung, viel reden, viel arbei­ten, exzes­si­vem Sport oder Sex, extre­mem Ess­ver­hal­ten; Konsum von Drogen, Alko­hol, Schlaf- und Beru­hi­gungs­mit­teln; dem Ver­such, ande­ren zwang­haft zu helfen oder sie zu „retten“ (Co-Abhängigkeit), Unter­wür­fig­keit, laten­ter Aggres­sion u.a.
Als Kind waren diese sinn­voll und not­wen­dig. Doch im erwach­se­nen Leben sind sie nor­ma­ler­weise nicht mehr dien­lich, häufig sogar hinderlich.

Ver­hal­tens­mus­ter, Über­zeu­gun­gen, Gedan­ken und Gefühle sind dann noch immer mit den – oft erschre­cken­den und beängs­ti­gen­den – Erfah­run­gen der Ver­gan­gen­heit gekop­pelt, was uns jedoch in der Regel nicht bewusst ist.

Sym­ptome und bestimmte kör­per­li­che oder emo­tio­nale Zustände und können aus diesem Blick­win­kel als Aus­druck von abge­spal­te­nen Selbst­an­tei­len ver­stan­den werden.

Die ele­men­ta­ren, auf Ver­tei­di­gung gerich­te­ten Über­le­bens­stra­te­gien, die einst das Ausmaß von Schä­di­gun­gen ein­grenz­ten oder die Über­le­bens­chan­cen erhöh­ten, sind mitt­ler­weile abge­spal­tene und auto­ma­ti­sierte Reak­tio­nen, die durch trau­ma­as­so­zi­ierte Reize akti­viert werden. Sie sind von den ursprüng­li­chen Ereig­nis­sen abge­kop­pelt, durch die sie not­wen­dig wurden, seit Langem ver­al­tet und wirken im aktu­el­len Alltag der Kli­en­tin oft extrem oder fehlangepasst.
Janina Fisher

Lite­ra­tur

Fisher, Janina: Trau­ma­spu­ren trans­for­mie­ren. Das leben­dige Traumaerbe und seine Auf­lö­sung in der The­ra­pie. G.P. Probst-Verlag GmbH, Lichtenau/Westf., 2021

Levine, Peter A.: Vom Trauma befreien. Wie Sie see­li­sche und kör­per­li­che Blo­cka­den lösen. Kösel-Verlag, Mün­chen, 2007

Van der Kolk, Bessel: Ver­kör­per­ter Schre­cken. Trau­ma­spu­ren in Gehirn, Geist und Körper und wie man sie heilen kann. G. P. Probst-Verlag GmbH, Lichtenau/Westf., 2015

Walker, Pete: Post­trau­ma­ti­sche Belas­tungs­stö­rung. Vom Über­le­ben zu neuem Leben. Ein prak­ti­scher Rat­ge­ber zur Über­win­dung von Kind­heits­trau­mata. Narayana-Verlag, Kan­dern, 2019